Ein Mittwoch-Morgen im Oktober – Unser Tagesrhythmus
7.30 Uhr, Josa und ich kommen heute als erste im Kindergarten an.
Frau Grass begrüßt uns und heute verabschiede ich mich nicht wieder. Für mich ist heute ein besonderer Tag, denn ich darf diesmal mit hier bleiben – damit ich hinterher umso lebendiger anderen interessierten Eltern berichten kann.
Frau Grass bereitet das Getreide vor, begrüßt Bianca und ihre Mutter, die gerade ankommen, ich poliere die Kastanien und Bianca und Josa gehen gemeinsam in den Nebenraum, in dem die Kinder am Tag zuvor eine Turnhalle eingerichtet haben: zwei Spielständer, darüber gelegte Bretter und davor Matten um hinunterspringen zu können. Bald schon kommt Judith dazu. Gemeinsam klettern, springen und laufen sie. Judith sagt Frau Grass sie möchte ihr Schulkind sein und hätte jetzt Turnen. So wird schnell eine Familie gebildet. Die möchte dann lieber ein Haus bauen aus den Turnmatten und zieht um auf den Teppich im Gruppenraum.
Mittlerweile sind Jana, unsere Praktikantin Frau Halder und Kevin eingetroffen. Jana mag noch nicht mit den anderen Kindern spielen, aber gerne beim Kochen helfen. Sie zieht eine Schürze an und rührt den Reis. Frau Halder und Kevin schneiden Kürbisgemüse und ein freundliches Gesicht in den Kürbiskopf, der hinterher den Jahreszeitentisch schmückt.
Die Spielständer, die vorher das Turngerät bildeten sind jetzt, mit darüber- und herumgespannten Tüchern, ebenso wie die Turnmatten zu einem Haus geworden.
Immer mehr Kinder kommen. Immer neue Gruppen finden sich zu einem Spiel, verändern sich, lösen sich wieder auf. Einmal gibt es viele Geparden, nette, gefährliche, Babygeparden die gestreichelt werden wollen. Pizza aus Holzscheiben wird belegt und gebacken, einige helfen eine Weile beim Gemüse schneiden, einige beim Kastanien polieren.
Es gibt gegenseitige Hilfe, zum Beispiel beim Zuknöpfen der Samtumhänge beim Verkleiden, aber auch Streit um Spielmaterial oder darüber, ob die Umhänge richtig herum angezogen sind. Frau Grass bessert mittlerweile ein Tuch, das über der Bauecke hängt, aus, hilft Christoph ein Kleid anzuziehen, tröstet, unterstützt beim Lösen von Konflikten.
Gegen zehn Uhr erklingt zunächst leise beim Aufräumen des eigenen Arbeitsplatzes „Aufräumezeit, es ist soweit“. Kisten, Bretter, Ständer werden geschleppt, Tücher gefaltet, der Kaufladen wieder eingeräumt, Bänder aufgerollt.
Dann treffen sich alle auf dem Teppich. Judith hat die „goldene Mitte“ vorbereitet, mit Kerze, Streichholzschachtel, Kerzenlöscher. Wir singen das Lied vom kleinen Apfel, spielen ein Apfelfingerspiel und sprechen gemeinsam den Morgenspruch:
Vom Kopf bis zum Fuß bin ich Gottes Bild.
Vom Herzen bis in die Hände fühle ich Gottes Hauch.
Sprech ich mit dem Munde, folge ich Gottes Willen.
Wenn ich Gott erblicke, überall,
in Mutter, Vater, in allen lieben Menschen,
in Tier und Blume , in Baum und Stein,
gibt Furcht mir nichts,
nur Liebe zu allem was um mich ist.
(Rudolf Steiner)
In langer Kette und mit einem Lied wandern wir zu Toilette und Waschraum. Wer die Hände gewaschen hat, geht zurück in die Garderobe, wird dort gekämmt und jeder bekommt etwas gut duftendes Öl auf die Hände.
Danach wandert die Kette weiter in den Nebenraum zum Reigenspiel: die Prinzessin sitzt im hohen Turm, den die anderen Kinder bilden, der Ritter wandert herum und löst mit seinem Schwert die Steine nach und nach heraus, nimmt sie mit und befreit so schließlich die Prinzessin.
Nun gibt es Frühstück, heute Getreidekranz und Kürbis dazu Fenchel- und Früchtetee. Wir singen das Tischgebet:
Erde, die uns dies gebracht, Sonne, die es reif gemacht,
liebe Sonne, liebe Erde, euer nie vergessen werde.
(Christian Morgenstern)
Alle lassen sich ihre Schüsseln füllen. Wenn alle satt sind singen wir wieder: Danke schön hat gut geschmeckt!
Während zwei Kinder, die im nächsten Jahr in die Schule kommen, noch spülen und abtrocknen helfen, gehen die anderen schon nach draußen.
Mit Töpfen, Löffeln und Sieben, Sand, Erde, Stöckchen und Blättern kochen Bianca und Judith, Andreas transportiert dicke Holzstücke in der Schubkarre, Jonathan zieht Jana und Josa im Bollerwagen, Tariq und Paul springen Seil, Frau Grass hilft schwenken, Christoph rutscht auf dem Skateboard herum, Noemi hilft mir neue Zweige in die Weidenhütte zu flechten, die ein großes Loch hat. Am Blumenbeet wird gearbeitet, Blumen werden gepflückt, Kräuter probiert.
Als der Gong uns ruft, räumen wir ein, Bagger und „Laufmotorrad“ kommen in die Garage, Bauarbeiter legen ihre Werkzeuge zusammen, Kochgeschirr wird weggeräumt. Buddelhosen und Schuhe tauschen wir noch einmal gegen Hausschuhe. Im Gruppenraum versammeln wir uns im Kreis, bewundern den gut gelungenen Kürbiskopf, zünden eine Kerze darin an und hören die Geschichte vom Großväterchen und der Rübe.
Zum Abschluss des Vormittages singen wir das Schutzengellied:
Schutzengel mein, behüt mich fein,
Tag und Nacht, früh und spät,
bis meine Seele zum Himmel eingeht.
(Volksgut)
Und: Bevor wir auseinandergehn sagen wir Aufwiedersehn, bis morgen früh um acht, wenn die Sonne wieder lacht
Für mich gilt dieser Spruch leider nicht.
Frau Grass wünscht allen noch einen schönen Mittwochnachmittag und dann werden die meisten Kinder abgeholt.
Die Mittagskinder bleiben auf dem Teppich im „Vogelnest“, während die anderen hinausgehen. Sie bekommen noch ihr Mittagessen, dann werden die „halben“ Mittagkinder um 13.15 Uhr abgeholt. Die anderen ruhen sich bei Harfespiel und einer Geschichte im Schlafraum aus. Nach der Ruhezeit wird gespielt, bis auch sie um 14.15 Uhr abgeholt werden.